Weltfreiwilligenkonferenz 2018 in Augsburg

von Lukas Heimes



Zum ersten Mal fand im Oktober 2018 die WeltFreiwilligenKonferenz des weltweiten Dachverbandes von Organisation, die freiwilliges Engagement fördern (IAVE – International Association for Volunteer Effort) in Deutschland statt. Die ganze Woche über durfte ich für die FreiwilligenAgentur Mitte Osloer Straße in Augsburg lokale und internationale Akteure der Engagementförderung aus der ganzen Welt kennenlernen. Im folgenden berichte ich von einigen Eindrücken und Vorträgen der Konferenz.

Global Youth Volunteers Forum

Die Woche begann mit dem Global Youth Volunteers Forum, einem Austauschtreffen für junge Menschen (unter 30 Jahren), die sich für die Förderung des Engagements junger Menschen einsetzen.

Über 120 junge Menschen aus 26 verschiedenen Ländern kamen dafür in Augsburg zusammen und nahmen an Workshops und Vorträgen teil, die vor allem gute Beispiele für Freiwilligenprojekte vorstellten und zur Vernetzung beitrugen.


Student Volunteer Army in Neuseeland

Einen spannenden Vortrag im Rahmen des Youth Volunteer Forums hielt IAVE-Vorstand-Mitglieds Sam Johnson, der in seiner Heimat Neuseeland die Student Volunteer Army gründete, eine Vereinigung, die nach schweren Erdbeben in Neuseeland 11.000 Menschen zusammenbrachte, um Menschen zu unterstützen und die betroffenen Gebiete aufzuräumen. Die zentrale Herausforderung der Student Volunteer Army benannte Johnson mit „Wie mobilisieren wir Menschen, wenn es keine Katastrophe gibt?“. Seine Antwort: „Lasst uns Bewegungen gründen, um etwas zu verändern, keine Imperien, um unser Ego zu befriedigen.“

Und er hatte noch mehr Tipps:
• Stellt starkeVerbindungen her zwischen den Engagierten und den Ergebnissen ihrer Aktivitäten
• Schafft Partnerschaften, um die Bewegung größer zu machen
• Entwickelt eine konsistente Struktur und Prozesse, um Wissen und Aufgaben weiterzugeben
• Achtet darauf, wie es euch und den Menschen in der Bewegung geht
• Seid offen für verschiedene Ideen, Menschen und Gruppen
• Bleibt der Sache treu und bleibt authentisch
• Findet etwas verbindendes mit denen, die gegen euch sind
• Nutzt soziale Medien, um Menschen zu erreichen und mit ihnen zu kommunizieren
• Seid euch stets bewusst, was euer Ziel ist. Richtet eure Aktivitäten stets darauf aus, dieses Ziel zu erreichen



Zum Abschluss des Global Youth Volunteers Forums wurde über eine von einer Arbeitsgruppe während des Treffens erarbeitete Erklärung abgestimmt, die unter anderem mehr Partizipationsmöglichkeiten für junge Menschen bei der Entscheidungsfindung im IAVE Vorstand fordert.




Start der 25. IAVE World Volunteer Conference

Mit der Möglichkeit lokale Organisationen in Augsburg während eines Kurzzeitengagements kennenzulernen wurde dann am 17. Oktober der Fachaustausch aller Konferenzteilnehmer*innen eingeläutet.

Mit einer Videobotschaft machte während der Eröffnungsreden am 18. Oktober Dr. Dhananjayan Sriskandarajah (Generalsekretär der internationalen Vereinigung von Organisationen den Zivilgesellschaft CIVICUS International) auf die zunehmend schwierige Lage vieler Mitgliedsorganisationen in der ganzen Welt aufmerksam. Nationalismus und Populismus setzten Zivilgesellschaftsorganisationen weltweit unter Druck. Sein leidenschaftlicher Appell zu internationaler Zusammenarbeit der Akteure, die eine liberale, weltoffene und demokratische Zivilgesellschaft erhalten und ausbauen wollen, wurde mit großem Applaus der rund 800 Konferenzteilnehmer*innen entgegengenommen. Helmut K. Anheier von der Hertie School of Governance lieferte im Anschluss das dazugehörige Stichwort unter dem diese besorgniseregende weltweite Tendenz diskutiert wird: „shrinking spaces“. Für freiwillig Engagierte folgten daraus folgende Entwicklungen: Freiwillige werden zunehmend als unbezahlte Arbeitskräfte genutzt, Freiwillige werden als lokale Gesellschaftsentwickler*innen gesehen, Freiwillige werden als innovative Kräfte angesehen, die gesamtgesellschaftliche Probleme lösen (sollen).


Forum Session 1.1: The Future of National Leadership for Volunteering

Weiter ging die Konferenz mit parallelen Vorträgen zu verschiedenen Themen. In der ersten Session, die ich besuchte, ging es um nationale Strukturen zur Unterstützung von Freiwilligen in verschiedenen Ländern. Ein Workshop, bei dem die doch sehr unterschiedlichen Perspektiven auf und Entstehungsgeschichten freiwilligen Engaements in verschiedenen Ländern deutlich wurde. Als Pendant zu den ca. 400 (einem Dachverband angehörendem) lokalen Freiwilligenagenturen /-zentren in Deutschland (Zahl stammt aus einem Vortrag der BAGFA), wurde in den Inputs von 30 lokalen Agenturen in Kroatien, 90 in Südkorea und 140 in Russland gesprochen. In allen Ländern gibt es mindestens einen nationalen Akteur, der die lokalen Agenturen zusammenführt – so auch in Kenia, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Guatemala, in deren Beiträgen jeweils nicht die Rede von einem lokalen Netzwerk der Engagementförderung die Rede war.
Aus meiner Perspektive bemerkenswert in dieser Sitzung war, dass in den Beiträgen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland jeweils betont wurde, dass die Freiwilligenförderung sich in den Dienst staatlicher Interessen stelle und die nationale politische Führung als maßgebend für alle Aktivitäten der Engagementförderung angesehen würde. Eine Rückfrage eines Vertreters der Caritas Ukraine, ob der Umgang der russischen Führung mit der Menschrechtsorganisation Memorial nicht als problematisch angesehen werde, blieb weitestgehend unbeantwortet. Sowohl im Vortrag aus Südkorea als auch im russischen Beitrag wurde deutlich, dass die großen Sportevents der letzten Jahre (Asia Games 2010 in Südkorea, Olympische Spiele 2014 und Fußballweltmeistarschaft 2018 in Russland) das Interesse an freiwilligem Engagement in dem jeweiligen Land deutlich beflügelte.



Schwerpunkt: Wie kann die Wirkung freiwilligen Engagements gemessen warden?

Viele Vorträge, die ich besuchte, behandelten Forschungsergebnisse, Werkzeuge und Erfahrungen zur Messung der Wirkung freiwilligen Engagements.

Spannend war z.B. der Input von Dr. Paul Yip (Universität Hong Kong), der eine Methode zur Erhebung eines „Altruismus Indexes“ vorstellt. In aufwendigen statistischen Verfahren wurden hierfür zehn relevante und klar voneinander unterscheidbare Bereiche freiwilliger Tätigkeit identifiziert. Durch die Auswertung der Antworten Hong Konger Bürger*innen wurde dann der Altruismus-Index der Stadt bestimmt, der bei differenzierterer Betrachtung auch Rückschlüsse auf Unterschiede zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und hinsichtlich des Ausmaßes altruistischen Verhaltens in den zehn identifizierten Kategorien zulässt. Die vorgestellte Studie enthält außerdem Aussagen über den positiven Zusammenhang von freiwilligem Engagement und allgemeinem Wohlbefinden der sich engagierenden Person.

Weitere Beiträge behandelten das Thema meist eher aus der Perspektive von Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten, oder freiwilliges Engagement fördern. Im Folgenden fasse ich die interessantesten Ergebnisse folgender Sessions zusammen:
Breakout 1.9 What is impact measurement? – Conceptual frameworks and evidence from research
Forum 2.3 Measuring Impact: How Do We Know Volunteers Make a Difference?
Breakout 3.9 Examples of practical tools to measure impact of volunteer involvement



Warum die Wirkung von freiwilligem Engagement messen?
(Aus dem Vortrag von Maria Petkova, Geschäftsführerin der Tulip Foundation, Bulgarien)

– Den Wert des freiwilligen Engagements sichtbarer machen
– Verbesserung der Möglichkeiten der Rechenschaftsablegung für Freiwilligenorganisationen
– Ausfindigmachen von Ansatzpunkten zur Verbesserung der Freiwilligenprogramme durch gezielte Förderung einzelner Bereiche
– Erhöhung der Nachhaltigkeit von Aktivitäten und Kampagnen



Auf welcher Ebene wird Wirkung gemessen?
(Aus dem Vortrag von Maria Petkova, Geschäftsführerin der Tulip Foundation, Bulgarien)

– Freiwillige*r
– Nutzenempfänger*innen
– Organisation
– Lokale Gemeinschaft
– Gesamtgesellschaft



Welche Kategorie von Wirkung wird betrachtet / gemessen?
(Aus dem Vortrag von Shaun Delanay, Projektmanager bei NCVO (The National Council for Voluntary Organisations, United Kingdom)

– Physisches Kapital (Physical capital), das von Freiwilligen erarbeitete Ergebnisse (z.B. Anzahl gepflanzter Bäume o.ä.)
– Humankapital (Human capital), Erwerb von Wissen und Fähigkeiten durch Freiwillige*n
– Wirtschaftliches Kapital (Economic capital), finanzieller oder wirtschaftliche Effekte des Engagements (z.B. Berechnung des „Marktwerts“ freiwilligen Engagements)
– Sozialkapital (Social capital), Schaffung gesellschaftlichen Zusammenhalts durch freiwilliges Engagement
– Kulturelles Kapital (Cultural capital), Schaffung kultureller und religiöser Identifikationsmöglichkeiten für Freiwillige



Vorgehensweise bei der Messung von Wirkung freiwilligen Engagements
(Aus dem Vortrag von Shaun Delanay, Projektmanager bei NCVO (The National Council for Voluntary Organisations, United Kingdom)

1) Festlegen, warum die Wirkung des freiwilligen Engagements gemessen werden soll
2) Festlegen, welchen Umfang die Untersuchung haben soll und welche Ressourcen dafür nötig sind
3) Festlegen (und ggf. priorisieren) der Gruppen, für die Wirkung gemessen werden soll
4) Die Werkzeuge für die Messung festlegen
5) Die Messung durchführen und die entsprechenden Daten sammeln
6) Analyse der gesammelten Informationen
7) Interpretation der Ergebnisse und Formulierung von Schlussfolgerungen
8) Kommunizieren der herausgefundenen Ergebnisse
9) Lernen aus den Ergebnissen und Verbesserungen in den Arbeitsabläufen vornehmen



Willem-Jan de Gast (Berater beim niederländischen Zentrum für gesellschaftliche Entwicklung Movisie) ergänzte zu diesen Schritten den Hinweis, dass eine „theory of change“ notwendig sei. Dies bedeute, dass ein Verständnis dafür entstehen müsse, wie Freiwillige die Gesellschaft durch ihre Tätigkeit ändern. Dieses Verständnis sei grundlegend, wenn eine Wirkungsmessung erfolgen soll. Die Entwicklung dieses Verständnisses sei außerdem ein kontinuierlicher Prozess, der stets weitergehe. Kernfragen, die gestellt werden müssen, seien also:
– Wenn wir wissen, was unsere beabsichtigte Wirkung ist, wie wissen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind oder gar, dass wir diese Wirkung bereits vollständig erzielt haben?
– Welche identifizierbaren Veränderungen, die auch tatsächlich messbar sind, signalisieren uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind?
– Wann sind wir zufrieden mit dem Fortschritt, den wir erzielen? Wann sind wir erfolgreich?
Die Indikatoren, die auf Basis dieser Grundfragen entwickelt werden, seien stets kontextabhängig.



Unterschiedliche Möglichkeiten den ökonomischen Wert freiwilliger Tätigkeit zu bestimmen (pro Stunde)
(Aus dem Vortrag von Viacheslav Ivanov, Higher School of Economics, National Research University Moskau, Russland)

– Gehalt der Person, dessen Tätigkeit ein*e Freiwillige*r möglicherweise ausführt
– Durchschnittsgehalt in einem vergleichbaren Beruf
– Durchschnittsgehalt einer Person, die in der gleichen Organisation beruflich beschäftigt ist
– Selbstbestimmter Geldwert den der/die freiwillig Tätige für die durch ihn/sie übernommene Tätigkeit ansetzen würde
– Kosten, die entstünden, wenn die von einem/einer freiwillig Tätigen übernommene Aktivität durch eine bezahlte Arbeitskraft verrichtet würde
– Durchschnittsgehalt (im jeweiligen Land / in der jeweiligen Stadt)
– (gesetzlicher) Mindestlohn (im jeweiligen Land / in der jeweiligen Stadt)
– Selbstbestimmter Geldwert der freien Zeit der/des freiwillig Tätigen
– Selbstbestimmter Geldwert der der/dem freiwillig Tätigen durch das freiwillige Engagement entgeht, da er/sie in dieser Zeit nicht in einem bezahlten Job tätig ist (Opportunitätskosten)
– (geschätztes / errechnetes) Mindestlohn, der zum Leben nötig ist



Young Long Jaung vom nationalen Freiwilligenzentrum in Südkorea (Korea Volunteer Center) präsentierte eine Online-Plattform, auf der verschiedene Freiwilligenorganisationen Fallstudien zur Wirkungsmessung ihrer Freiwilligenprogramme austauschen.

Von mehreren Vortragenden erwähnt wurde außerdem der Hinweis: „Nicht alles ist messbar!“ Zahlreiche Aspekte freiwilliger Tätigkeit sind schwer quantifizierbar (z.B. die Akkumulierung individuellen Wissens, das Erlernen neuer Fähigkeiten, das Kennenlernen der eigenen Stadt, Nachbarschaft, das Schließen neuer Bekanntschaften und Freundschaften, etc.)



Ressourcen zum Weiterlesen und zum praktischen Arbeiten

NCVO (2013): Inspiring Impact. The Code of Good Impact Practice.
Social Value International (2016): The Seven Principles of Social Value.
ACEVO, Charity Finance Group, Institute of Fundraising, NCVO, New Philanthropy Capital, Small Charities Coalition, Social Enterprise UK, SROI Network& others (2012): Principles of Good Impact Reporting.
Volonteurope (2018): Measuring the impact of Volunteering. Position paper.

(Aus dem Vortrag Maria Petkova, Geschäftsführerin der Tulip Foundation, Bulgarien)



Reden vom Entwicklungsminister und von Plant-a-Tree-Gründer

Im Konferenzplenum gab es zwischen den Sessions Inputs des deutschen Entwicklungsministers Gerd Müller und des Gründers der Organisation Plant-for-the-Planet Felix Finkbeiner.
Müller bedauerte wortreich globale Ungerechtigkeit, den Klimawandel und daraus folgende Hungerkatastrophen (Zitat: „Hunger ist Mord.“), Finkbeiner stellte die beeindruckende Bilanz der von ihm als neunjährigen gegründeten Bewegung vor, deren Anhänger bis heute weltweit über 15 Milliarden Bäume gepflanzt haben. Außerdem wurden die IAVE Corporate Awards für die beeindruckensten Beispiele engagierter Unternehmen vergeben.



Ein Abendessen in Oktoberfest-Stimmung im bayerischen Bierzelt und die Bekanntgabe des nächsten Austragungsorts der Weltfreiwilligenkonferenz (Abu Dhabi) bildeten, neben abschließenden Vorträgen am Samstagmorgen, die Schlusspunkte der Konferenz.